Donnerstag, 5. Juni 2014

Guter Zeitpunkt [god tidspunkt]

Wir wurden angezeigt. Das Jugendamt stand unangekündigt vor der Tür und erbat Einlass. Jemand macht sich sorgen um unsere Kinder und hat dem Jugendamt berichtet, dass zwei unserer drei Kinder anscheinend keine Schule besuchen.

Wir waren gerade dabei die Pferde zu satteln, weil wir mit Mina (die mit ihren zwei Ponys von hier bis an die Ostsee wandert) eine Tagesstrecke mit wandern wollten. 



Die Frau vom Jugendamt stellte sich kurz vor und erzählte eben, dass wir angezeigt wurden und sie den Auftrag hat uns und die Kinder anzuschauen und zu überprüfen.

Der Moment war wirklich genau richtig. Luzies Schulunterlagen liegen hier und für Pelle haben wir ja auch schon einen Antrag abgegeben. Deshalb konnte ich auch fast ganz ehrlich und sehr überzeugend alles aufklären. Ich hab ihr auch erzählt, dass wir ja schon komisch beäugt werden, weil unsere Kinder auf eine Schule gehen in der es keine Zensuren gibt. Das finden die meisten Dorfbewohner hier wirklich fragwürdig.


Die Frau war dann dank meiner kurzen Erklärung und meines so offenen sympathischen Auftretens erleichtert und beruhigt (hat sie so gesagt). 


Auch weil Luzie, noch bevor ich irgendwas erklären konnte, dazu kam. Die Frau sagte: "Und Du bist Luzie? Und Du bist sieben Jahre alt?". 

Luzie erwiderte: "Nein, ich bin sechs" und die Frau meinte: "Dann muss sie ja noch gar nicht in eine Schule!?". 

Ich hab ihr kurz erklärt, dass Luzie ganz regulär in diesem Sommer eingeschult wird (und wir uns natürlich riesig freuen) und dass Pelles Schulsituation etwas komplizierter ist, wir aber hoffen, dass er zum Sommer hin auch einen Platz an der Waldorfschule bekommt. Sie wollte dann auch gar nicht mehr rein kommen, aber ich habe sie eingeladen trotzdem am nächsten Tag auf einen Kaffee vorbei zu kommen und sich auch von Pelles Lernstand zu überzeugen. Dann habe ich ihr noch erzählt wer ich bin und kurz meine beruflichen Ansichten geschildert. 


Das Ergebnis nach dem Kaffeetrinken: sie findet uns total toll.


Sie kam, hat sich sehr über den Kardamomespresso-Milchkaffee-mit-Hafermilch gefreut, hat als erstes gefragt, ob ich zufällig Fachliteratur zum Thema Autismus da hätte, die ich ihr leihen könnte und hat sich dann gesetzt und fast zwei Stunden mit uns geplaudert. Und es war ein lustiger Mischmasch aus, eben die Fakten wegen der Kindeswohlsachen abzuklären und einem Kolleginnengespräch. Wir haben gefachsimpelt und sie hat mir die Strukturen der Jugendarbeit hier erklärt und erzählt, dass in der nächst größeren Stadt die Stelle einer Psychologin frei sei, die ich direkt antreten könnte. 


Sie ist gegangen mit der Zuversicht, dass wir irgendwann im selben Bereich arbeitet und sie sich sehr darauf freut, dass sie dem Jugendamt mitteilt, dass hier alles ganz wundervoll für die Kinder ist und zwei Bücher hat sie sich ausgeliehen "Buntschatten und Fledermäuse" und den Teacch-Ansatz für Autismus. Sie möchte gerne bald wieder mal vorbei kommen, ist ganz begeistert über den neuen Kontakt den sie auf diesem Weg gefunden hat. Mit Luzies Schulsituation ist ja alles sauber und Pelles Sache hat sie irgendwie nicht wirklich interessiert. "Sie kümmern sich ja ganz hervorragen darum, da mache ich mir gar keine Sorgen, dass sie den richtige Weg für ihn finden".


Kann natürlich sein, dass die Leute im Jugendamt die offiziellen Dinge noch erledigen, das Schulamt informieren und wir ärger bekommen und zu Handlungen genötigt werden, weil Pelle jetzt im Moment ja auch eine Schule besuchen müsste. Mal sehen...


Ich hatte ihr einen Stapel Material zusammen gestellt: Pelles und Luzies Zeugnisse, die Portfolios, eine Liste mit Leumundszeugen (die tatsächlich sehr beeindruckend war), einen durchschnittlichen Wochenplan der beiden, einen Zettel mit drei B Plänen, was wir machen wenn Pelle keinen Platz bekommen sollte, dann meine Flyer, Visitenkarte etc.

Pelle, Luzie und Minimum wuselten hier die ganze Zeit rum, irgendwann setzte Pelle sich mit Minimum ans Klavier und spielte Für Elise und die gute Frau schmolz dahin ;)
Luzie hat ihr von der Pferdewanderung berichtet und sie meinte gleich "dabei hat Luzie sicherlich viel viel mehr gelernt, als wenn sie statt dessen vier Stunden in einem Kindergarten verbracht hätte" ;)...


Die Bücher zum Thema Autismus: 

Buntschatten und Fledermäuse: Mein Leben in einer anderen Welt und 
Der TEACCH Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus. Wenn man mit Menschen mit Autismus arbeitet sind diese beiden Bücher wirklich gut. Das Buntschattenbuch ist von Axel Brauns. Und er erklärt wirklich sehr sehr anschaulich wie seine Welt funktioniert. Durch seine Beschreibungen habe ich viel gelernt. Und der TEACCH-Ansatz ist eben sehr praktisches Zeug für die Arbeit und die Gestaltung des Lebensumfeldes für Menschen mit Autismus.

Und weil Blogbeiträge ohne Foto langweilig sind hier ein völlig zusammenhangfreies Foto von Pelle mit der Schlange von letzter Woche.



Mittwoch, 4. Juni 2014

Nicht handeln [ikke handle]

Holm Friebe hat auf der re:buplica14 einen Vortrag gehalten. Über das nicht handeln. Es geht darum, nicht in Aktionismus zu verfallen. Situationen auch mal passieren lassen.
Es geht um nicht handeln – nicht um nichts tun. Es geht nicht um Müßiggang oder Faulenzen.
"Nicht handeln kann nur derjenige, der auch handeln könnte, vielleicht sogar einen starken Impuls verspürt zu handeln."
Holm Friebe bezieht seine Aussagen auf Wirtschaft und Arbeit und so. Aber zu einem großen Teil passen seine Sätze auch zu Kinderthemen. Nicht immer eingreifen. Das Kind einfach mal machen lassen. Eigene Fehler machen zu können ist so wertvoll. Einen Fehler mehrfach zu machen noch wertvoller. Fehler machen, heraus finden wo der Fehler lag und dann systematisch ausprobieren wie es besser klappt. Das geht nur wenn Mama einfach nur dabei ist, darauf achtet, dass niemand ernsthaft zu Schaden kommt, und: nicht hilft.



Ich mag den Vortragstil von Holm Friebe total gerne. Er redet super gut. Keine Ähs und Ähms. Keine redundanten Floskeln. Klar strukturiert. Einfacher guter Satzbau. Und er macht ab und an so Denkpausen und sagt dann einfach nichts, statt daher zu brabbeln. So würde ich gerne vortragen können.